weil die Zeit sich so beeilt..

Veröffentlicht auf von Cärö

Hier kommt ein Text: gewidmet meinen zwei lieben Freundinnen und Schwestern, die seit Monaten treu auf meinem Blog vorbeischauen und nie die Hoffnung aufgaben, dass doch mal wieder was kommt. Es ist mein letzter Deutschaufsatz. Das stimmt sogar in doppelter Hinsicht. =)

Erfüllte Zeit - Vertane Zeit

Was werden Sie nach dem Abitur machen? Der Mann hatte schon viel über mein vergangenes Leben und über meine Familie erfahren. Nun wollte er also auch über meine Zukunft Bescheid wissen. "Ich werde ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten." Meine Antwort gefiel ihm nicht. Der Inhaber eines Supermarktes, bei dem ich zum Vorstellungsgespräch für einen Ferienjob war, konnte meine Pläne nicht nachvollziehen. In seinen Augen sei das verlorene Zeit. Eine Weile nahm ich dem Mann seine plumpe Antwort übel. Bis ich verstand: Für ihn als Kaufmann ist ehrenamtliches, soziales Engagement keine erfüllte Zeit. Kein lukrativer Job. Eine Abiturientin muss studieren und so schnell wie möglich Geld verdienen. Ein glänzendes Gesicht, rund wie eine Euromünze mit fettem Grinsen vom linken bis zum rechten Ohr, die Zähne blitzen wie Diamanten und auf den gierigen Augen kleben Dollarzeichen - das steht einfach nicht jedem.

Sebastian Haffner erklärt in "Das Leben der Fußgänger", die meisten Menschen unseres Zeitalters hätten die Fähigkeit zum Müßiggang fast völlig eingebüßt. Warum haben so viele verlernt entspannt und amüsiert durchs Leben zu gehen? Schul daran ist zum einen die bereits erwähnte Geldgier und der Leistungsdruck zu arbeiten. Unzählige gewinnorientierte Arbeitsstellen bieten keinen tieferen Sinn in der Tätogkeit als Profit zu machen. Spaß am Geschäft bleibt auf der Strecke. Gemütlichkeit haben wir durch unsere strengen 40-Stunden-Wochen schon längst abgelegt. Ein Hauch der italienischen Siesta würde uns deutschen Arbeitstieren sicher nicht schaden.
Außerdem sind wir rund um die Uhr von technischen Geräten umgeben, die uns neue Informationen liefern. Handy und Laptop, elektronische Webeflächen am Bahnsteig. Sie fordern eines: Denken. Denken. Denken. Man ist so beschäftigt die auf uns einströmenden Daten zu verarbeiten, dass Ausgeglichenheit zum Kunststück wird.

Suchen wir mal die Entspannung, hat man nichtmehr so wie früher die Natur vor der Haustüre. Wälder und Feldwege werden mehr und mehr von geteerten Straßen und Hochhäusern abgelöst. Da verirrt sich kein Reh mehr in den angelegten Garten. Also gibt es Wellnessoasen und Krankengymnastik um die verkrampften Muskeln und den dampfenden Kopf zu lockern.
Wir sind immer weniger zum Müßiggang fähig, weil wir uns keine freie Zeit mehr gönnen. Aus Sonntagen werden Werktage. Die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt. Statt die Besinnlichkeit in der Kirche zum Auftanken zu nutzen, schalten viele Deutsche den Fernsehr an und lassen sich von Stand-up Comedy bespaßen. Humor und Ironie überlässt man den Profis. Witze behält man für sich, weil man befürchtet nicht bei den Zuhörern zu landen.

Freizeitbeschäftigung ist ein Wort aus der westlichen Welt. Wir haben Hobbys um unsere freie Zeit zu füllen. Füllzeit. Erfüllte Zeit?
Sport ist ein sehr beliebtes Hobby. Es gibt unzählige Sportarten - aber eines haben sie alle gemeinsam: den Spiel-Charakter. Beim Sport gibt es keinen Leistungsdruck. Außer beim Leistungssport. Aber das ist eine andere Geschichte. Man kann seine Grenzen testen, erlebt Erfolge und Niederlagen.
Allgemein bekannt ist der Spruch: Sport ist Mord. Aber Sport ist auch gesund. Denn er bietet einen Ausgleich zur Arbeitswelt und schafft Abstand von Sorgen.

Neulich war ich zu spät dran und ich musste mich sehr beeilen noch pünktlich zu einem Termin zu kommen. Ich fing also an zu laufen. Mit der Zeit merkte ich, dass ich innerlich immer angespannter wurde. Obwohl mein Körper nichts anderes als beim Joggen tat, fühlte ich mich schlecht. Es war der Zeitdruck. Die Angst meine Verabredung schon wieder warten zu lassen. Wenn ich hingegegn joggen gehe, nehme ich mir viel Zeit. Dabei komme ich zum Nachdenken und fühle mich danach fitter. Diese, so könnte man meinen, unproduktive Zeit, ist erfüllte Zeit, weil man etwas für sich selbst tut.

Bei einer Umfrage des Axel-Springer-Verlags gaben 41% der Deutschen an, in iherer Freizeit am liebsten Musik zu hören. Vielleicht tun sie es deshalb so gern, weil sie es lieben die Tonart, den Rhythmus und die Instrumente herauszuhören. Nein, es ist der Weg Gefühle auszudrücken. Seien es positive oder negative. Musik kann unsere Stimmung beeinflussen, und wenn wir es wollen, lenkt sie und auch von unseren Problemen ab. Genau wie beim Lesen von Büchern kann man in eine Phantasiewelt abtauchen, die uns oft viel besser gefällt als die Realität.
Auch beim Fernsehn kann dieser Effekt auftreten. Oft macht man den Fernsehr an, um die Langeweile zu vertreiben. Niemand mag Langeweile. Man wartet, bis die Zeit vergeht, bis man weiß, was man als nächstes tun könnte. Hat man einige Stunden damit verbracht, die Zeit totzuschlagen, beschleicht einen oftmals das schlechte Gewissen. Vertane Zeit. Dabei gibt es immer was zu tun.

Könnte man sagen: Erfüllte Zeit ist Glück? Wenn man zufrieden ist, sich sicher fühlt, eine tolle Zeit erlebt. Ist das erfüllt?
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Glücklichsein sich positiv auf das Immunsystem auswirkt. Aber wann hat man denn ein Glück gefunden, das dauerhaft bleibt? Die Erkenntnis liege, so der Philosoph Wilhelm Schmid, darin, Heiterkeit als eine Haltung anzunehmen, in der man ein grundlegendes Einverständnis zu guten und schlechten Ereignissen habe.
Der Mensch braucht die Polarisierung um sich wohl zu fühlen. Unser Alltag ist ein Balanceakt zwischen Krankheit und Spaß, geschäftig sein und ruhen lassen. Zufrieden ist am Ende der, der es schafft Müßiggang statt Faulheit anzunehmen. Das heißt sich genügend Schlaf zu gönnen, auch mal ruhig auf dem Sofa sitzen zu können und spazieren zu gehen. Außerdem bedeutet es sich Zeit für Menschen zu nehmen. Für Freunde, mit denen man lachen, philosophieren und kleine oder größere Katastrophen durchstehen kann. Und für die Familie, die einem - in den meisten Fällen - Liebe, Halt und Zuspruch schenkt.
Leider gibt es immer Ausnahmefälle. Menschen, die keine Zuneigung in iherer Familie erfahren und daher schlechtere Voraussetzungen haben mit ihrem Leben fertig zu werden. Damit auch die sozial Schwächeren die nötige Balance in ihrem Leben finden, mache ich das Freiwillige Soziale Jahr. Langjährige Erfahrungen im Ehrenamt haben mir gezeigt: Einsatz für anderes ist keine verlorene Zeit. Vielleicht sollte der Kaufmann aus dem Supermarkt mal erleben, wieviel Spaß es machen kann etwas Gutes zu tun und dass man dabei Erfahrungen sammelt, die mit keinem Gold der Welt aufzuwiegen sind.

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K
<br /> genialer Text Caro!<br /> und Danke für die Widmung... :-)<br /> love<br /> your sister and friend<br /> <br /> <br />
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S
<br /> Klasse Text und gute Gedanken - 15 Punkte (oder ein JA für den Recall) von mir!<br /> <br /> <br />
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